Grüne Metropole

Grün statt Grau

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2024

Die Stadt als Ort der Freiheit und der Aussicht auf Wohlstand zieht weltweit immer mehr Menschen an. Damit Ballungsräume aber ihre Versprechen erfüllen können, muss Stadtplanung neu gedacht werden. Als nachhaltige, grüne Metropolen bieten sie Perspektiven für Mensch, Tier und Umwelt.

Auf Hochhausdächern entstehen urbane Gärten.
Auf Hochhausdächern entstehen urbane Gärten. Foto: iStock / julief514

Schon heute leben in Deutschland fast 78 Prozent der Menschen in Städten. Knapp jeder dritte Deutsche hat sein Zuhause in einer Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Allein die vier Metropolen Berlin, Hamburg, München und Köln zählen rund acht Millionen – also zehn Prozent der deutschen Bevölkerung. Prognosen zufolge wachsen diese Ballungsräume bis zum Jahr 2040 weiter. In den drei Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin könnte sich die Zahl der Einwohner bis 2070 sogar um gut ein Viertel vergrößern.

Deutschland ist nur ein Beispiel für den Trend der Urbanisierung. Weltweit leben rund 4,4 Milliarden Menschen in urbanen Räumen. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich diese Zahl bis 2050 mehr als verdoppeln wird. Diese Entwicklung stellt Expertinnen und Experten für Stadtentwicklung rund um den Globus vor immense Herausforderungen. Denn alle diese Menschen brauchen Raum zum Wohnen, zum Arbeiten und zum Leben. Es müssen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen geschaffen werden, ebenso Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten, Bereiche für soziales Miteinander, kulturellen Austausch und sportliche Aktivitäten. Dazu kommen Infrastrukturen wie Straße und Schiene, Energie-, Wärme- und Wasserleitungen, dezentrale Energieerzeuger, 5G- und Funknetze – und nicht zu vergessen: Grünflächen und Parks. Denn erst das Grün macht die Stadt lebenswert. 

Nachhaltiger bauen

Tatsächlich ist die Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit die wohl größte Herausforderung für urbane Räume. Bereits heute sind Städte für etwa 75 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und mehr als 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Heutzutage gilt es, nachhaltiger zu planen und zu bauen. Dabei ist nicht mehr die autogerechte Stadt, sondern die 15-Minuten-Stadt das Leitbild. Alles, was der Stadtmensch der Zukunft im Alltag benötigt, soll er innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Personennahverkehr erreichen können. Das erfordert eine neue Bebauung. „Die Bevölkerung auf der vorhandenen Fläche gut zu verteilen ist die Grundlage für eine nachhaltige Stadt. Auf Hochhäuser können wir also nicht verzichten“, fordert Brent Toderian, ein weltweit renommierter Stadtplaner.

Grüne Metropole mit Flexiblen Flächen

Wichtig ist aber, dass sich die neue Generation der Hochhäuser flexibel an den sich wandelnden Lebensrealitäten und Nutzungsbedürfnissen in der modernen Stadt anpasst. Für Doris Sibum vom Stadtentwicklungsbüro Urbanista steht fest: „Wir werden mit dem Wohnraum ganz anders umgehen.“ Sie glaubt, dass wir pro Kopf künftig mit weniger Fläche auskommen werden. Wohn-, Büro- und Gewerbebauten sollten sich ihrer Ansicht nach zudem mit wenig Aufwand immer wieder neu umbauen lassen. „Wir werden künftig Materialien und Techniken haben, die uns dabei helfen, leichter Zwischenwände zu ziehen und Grundrisse flexibel zu halten.“ So entstehen zum Beispiel Clusterwohnungen, in denen eine Gemeinschaftsfläche mit großer Wohnküche allen Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung steht. Gesäumt wird sie von kleinen abgeschlossenen Wohneinheiten mit jeweils eigenem Bad. 

Und auch von Mehrgenerationenhäusern verspricht sich Sibum viel. „Das Leben in Mehrgenerationenhäusern oder Wohngemeinschaften wird in 30 oder 50 Jahren viel mehr zum Alltag gehören als heute“, glaubt sie. Denn mit den Babyboomern gebe es nun eine ältere Generation, die das WG-Modell aus Studienzeiten kenne und keine Berührungsängste habe. Für den öffentlichen Raum setzt die Zukunftsforscherin auf Mehrfachnutzung: Städte könnten es sich nicht leisten, wertvolle Flächen nur einem Zweck zu unterwerfen. So könnten in Schulen nach dem Unterricht etwa Lesungen, Fortbildungen oder kulturelle Events stattfinden; auf Pausenhöfen und in Sportanlagen powern sich alle Generationen aus, Hobbygärtnerinnen und -gärtner werkeln in Parks, Kinder spielen auf den Dächern von Parkhäusern, und die Dachgärten auf den Hochhäusern werden zu grünen Oasen.

Mehr Grün, weniger Grau

Überhaupt spielt Grün in der Stadt der Zukunft eine wesentliche Rolle. Eine grüne Stadt ist nicht nur ästhetisch, sondern wirkt sich auch gut auf das Klima sowie auf die mentale und körperliche Gesundheit von Menschen aus. Einer Studie des Finnischen Instituts für Gesundheit und Wohlfahrt zufolge benötigten Stadtbewohnenden, die drei- bis viermal pro Woche Parks und Grünflächen aufsuchen, mit einer 33 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit Psychopharmaka, bis zu 36 Prozent weniger Medikamente gegen Bluthochdruck und bis zu 26 Prozent weniger gegen Asthma. 

Doch auch außerhalb ausgewiesener Parks braucht es mehr Grün. So lassen sich Straßen in grüne Alleen verwandeln, Baugerüste temporär begrünen oder Fassaden mit Moos verkleiden. Das stabilisiert nicht nur mit der Zeit rissig werdenden Beton und sorgt daher für eine langlebigere Bausubstanz, sondern dient auch als Schallschutz und Feinstaubbinder. Überhaupt absorbieren Bäume und Sträucher CO2 und spenden Schatten in der heißen Jahreszeit. Werden neben den Fassaden auch Dächer begrünt und Freiflächen entsiegelt, wirkt das der Bildung von Hitzeinseln entgegen. So wird die Stadt von morgen lebenswerter und klimaresilient.

Verändern muss sich in modernen Metropolen auch die Mobilität. In weiter verdichteten Ballungsräumen muss der Individualverkehr zurückgedrängt werden. Auch erfordert der Klimaschutz eine Verkehrswende und die Abkehr vom Verbrennungsmotor. Künftig werden immer mehr Strecken innerhalb von Städten mit mehr als einem Verkehrsmittel zurückgelegt. Dem Fahrrad wird dabei eine höhere Priorität eingeräumt, der öffentliche Personennahverkehr muss ausgebaut werden. Geplant werden die Routen per Smartphone-App; die digital die schnellste Verbindung zusammenstellt.

Smart vernetzt

Überhaupt wird die Stadt der Zukunft digital. Das gilt auch im Hinblick auf eine moderne öffentliche Verwaltung. Zeitgemäß ist sie nur, wenn den Bürgerinnen und Bürgern digitale Services angeboten werden, die Behördengänge obsolet machen, Prozesse beschleunigen und transparenter gestalten. Gleichzeitig müssen Bürokratie abgebaut und die Akzeptanz der Nutzenden gesteigert werden. Ein Aspekt dabei: Auch Behörden fällt es immer schwerer, Fachkräfte zu finden. Mitarbeitende mit unnötigen Vorgängen oder solchen, die automatisiert werden können, zu binden, kann sich heute keine Kommune mehr leisten. 

Zukunftsforscherin Sibum ist sich sicher, dass die Digitalisierung in einigen Jahren oder Jahrzehnten auch soziale und Freizeitaktivitäten beeinflussen wird und sich physische und virtuelle Räume überlappen: „Ich glaube, dass Städte es künftig schaffen werden, das Beste beider Welten als Mixed Reality zu verbinden.“ So werden in der Stadt von übermorgen Konzerte, Events oder Landschaften an Fassaden projiziert, fiktive Figuren oder weit entfernt lebende Menschen per Holografie ins Hier und Jetzt geholt und virtuelle Realitäten geschaffen. Dann kann man mit Freunden aus aller Welt gemütlich im lokalen Park sitzen, virtuell aber auf der Marsoberfläche picknicken. 

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