Zukunftsvisionen

Die Kunst, eine Stadt zu erschaffen

Von Michael Gneuss · 2022

Über die Stadt der Zukunft wird schon lange nachgedacht. Die Zielrichtung für die Weiterentwicklung von Ballungsräumen hat sich im Zuge des fortschreitenden Klimawandels und aufgrund der Energiekrise aber verschoben. Die Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten gehört nun zu den höchsten Prioritäten. Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit müssen vereint werden.

Wohngebäude mit viel Begrünung.
Die Stadt der Zukunft ist grün. Foto: iStock / Franck-Boston

Visionen für die Stadt der Zukunft gibt es in Hülle und Fülle. Der Wille, sie umzusetzen, ist da. Ein genereller Trend ist leicht zu erkennen: Alle setzen auf erneuerbare Energien, wollen klimaneutral sein, verbannen das traditionelle Auto zugunsten neuer, nachhaltiger Mobilitätskonzepte.

Als ein Vorbild für andere Städte hat der US-Milliardär Marc Lore Pläne für die futuristische Metropole Telosa entworfen. Bis 2030 sollen 50.000 Menschen auf einem 150.000 Hektar großen Gelände leben, wo genau ist noch unklar. Alle Gebäude werden mit Solarpaneelen ausgestattet. Auf den Dächern werden Bäume wachsen. Viele Windräder und Gewächshäuser sind auf den Visualisierungen zu sehen, die die Planer entworfen haben. Autos fahren, wenn überhaupt, elektrisch und autonom, sind aber eigentlich unnötig, denn die Bewohnerinnen und Bewohner können ihren täglichen Bedarf in unmittelbarer Nähe decken. Marc Lore will aber nicht nur eine neue Stadt, sondern ein neues Gesellschaftsmodell für eine „diverse“ Bevölkerung bauen. Es soll kein Privateigentum, sondern nur eine Stiftung geben, die ihre Einnahmen aus Pachtverträgen in Sozialprojekte investiert.

Zukunftsvisionen für moderne Städte

Für Aufsehen sorgt auch „The Line“, eine 170 Kilometer lange, 200 Meter breite und 500 Meter hohe Stadt für neun Millionen Menschen in Saudi-Arabien. Die Außenseiten der Wüstenstadt bestehen aus Spiegelflächen, um die Sonneneinstrahlung zu reflektieren und die Hitze nicht ins Innere der Stadt zu lassen. Die einzelnen Stadtquartiere werden vertikal organisiert, innerhalb von fünf Minuten sollen die Menschen in der autofreien Stadt alle wichtigen Zielorte erreichen können. Für längere Strecken gibt es einen öffentlichen Personennahverkehr, zu dem auch Flugtaxis gehören. Alle Systeme der Stadt werden durch Künstliche Intelligenz gesteuert. Die Vision ist ein Teil der im Nordwesten des Landes ­gelegenen futuristischen Megastadt Neom.

Es könnten noch eine Fülle weiterer Visionen und Projekte genannt werden. Vielleicht können sie an der einen oder anderen Stelle tatsächlich die Weiterentwicklung von Städten inspirieren. Jedoch wird der komplette Neubau einer Stadt immer ein Einzelfall bleiben. Denn aus ökologischer Sicht verursacht Neubau immer einen hohen Verbrauch an Ressourcen. Die große Kunst der Stadtentwicklung ist daher, den Bestand so weiterzuentwickeln, dass er modernen Ansprüchen genügt.

Mut zur Innovation

Bei der Weiterentwicklung unserer Städte müssen wir vielfach neue Wege gehen und Mut zur Innovation beweisen. Die Komplexität liegt darin, dass wir Mobilitäts-, Immobilien-, Logistik- und Versorgungskonzepte nicht isoliert voneinander betrachten dürfen, sondern nach integrierten Lösungen suchen müssen. Bei der Gestaltung unserer Städte sind viele Faktoren zu berücksichtigen. Mehr und mehr steht die Frage im Vordergrund, unter welchen Voraussetzungen sie überhaupt zukunftsfähig sind und welche Anpassungen aufgrund von Klimaveränderungen vorgenommen werden müssen.

Das Ziel ist heute eine resiliente Stadt, die mit Hitze, Starkregen, Stürmen und Trockenheit umzugehen weiß. Deren Energieversorgung möglichst unanfällig für alle denkbaren Störungen ist, die nicht in Staus erstickt, ihre Schadstoffbelastung minimiert und insgesamt dem Klima nicht schadet.

Gerade Hitze kann sich für Stadtbewohnende ­perspektivisch zu einem enormen Problem ­entwickeln. Versiegelte und verdichtete Flächen speichern die Wärme besonders gut – von „Hitzeinseln“ ist daher auch die Rede. Der Temperaturunterschied zwischen Stadt und Land kann bis zu zehn Grad betragen. Forschende haben errechnet, wie viele Tage pro Person Menschen in Städten zwischen 1983 und 2016 weltweit extremer Hitze ausgesetzt waren. Ergebnis: Die Zahl hat sich in dem Zeitraum verdreifacht. Gefragt sind also Konzepte, mit denen die Städte gekühlt werden können. Eine visionär anmutende Idee hat der Norweger Andreas Tjeldflaat mit seinem Studio Framlab entwickelt. Er will Städte mit künstlichen Wolken – bestehend aus dünnem, schaumartigem Nanomaterial – verschatten, wenn die Temperaturen zu stark steigen. Das Material soll so beschaffen sein, dass es die Sonnenstrahlen in die Atmosphäre zurückwirft.

Besser umzusetzen ist das Konzept der Schwammstadt, das allerdings insbesondere Ballungsräume besser vor Starkregen schützen soll. Weniger versiegelte Flächen, Dachbegrünung, das Sammeln von Regenwasser und die Schaffung von Sickerflächen können die Risiken von Überschwemmungen beträchtlich senken.

Klimaschutz in Städten

Während die genannten Ideen der Klimaanpassung zuzurechnen sind, muss die Stadt der Zukunft aber auch klimaneutral sein. Eine große Herausforderung ist dabei die Energieversorgung. Weltweit verursachen Städte 71 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen. Klimaneutralität muss dabei mit Versorgungssicherheit einhergehen. Denn gerade in Städten besteht viel kritische Infrastruktur, die auf Strom angewiesen ist. Dort, wo neu gebaut wird, wird heute in der Regel im Quartiersmaßstab gebaut. Das ermöglicht nicht nur eine effizientere Wärmeversorgung. Die Städte werden auch lebenswerter. Idealerweise sind Quartiere nur noch außen an die Straßenverkehrsinfrastruktur angebunden. Im Inneren sind sie autofrei. In ihnen werden unter anderem Wohnungen, Büros, Gewerbe, Einzelhandel und Freizeitangebote angesiedelt, um die Wege kurz zu halten. Quartiere sind daher gleichzeitig soziale Zentren. In Hamburg soll mit Oberbillwerder – 16 Minuten vom Hauptbahnhof entfernt – ein neuer Stadtteil entstehen. Er wird als „Active City“ geplant, Sport, Bewegung und Gesundheit ­sollen eine zentrale Rolle spielen. Ab 2026 soll für 15.000 Menschen gebaut werden. Zudem sollen 5.000 Arbeitsplätze entstehen. Geplant sind 7.000 Wohnungen, die zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Die Planer gehen davon aus, dass 90 Prozent davon direkt vor Ort erzeugt werden können. Zu 60 Prozent kann Oberbillwerder mit Restwärme, die dem Abwasser entnommen wird, ­beheizt werden. Diese dezentrale ­Erzeugung soll eine ­sichere und preisstabile Versorgung ermöglichen.

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